Japan im Zug – Insel Kyushu
Reisebericht 2023
Japan im Zug … (2)
Ich sitze in einem kleinen gelben Regionalzug (Futsū), der mich von Nagasaki in die Töpferstadt Arita bringen soll. Später muss ich noch einmal umsteigen. Dieser Regionalzug wird bis zum Zielbahnhof noch 12-mal halten. Der Doppeltriebwagen ist nur mäßig besetzt. Ich finde einen Fensterplatz in Fahrtrichtung. Das Wetter ist regnerisch. Über die Zugfenster laufen die Regentropfen diagonale Bahnen und sind leider nicht gut geeignet zum Fotografieren. Ich richte also meine Blicke nach innen.
Der Führerstand vorn nimmt die Hälfte der Waggonbreite ein. Der Lokführer steht recht frei in seinem Stand, und so kann ich auch hier seine Aktivitäten gut beobachten. Seine dunkelblaue Uniform ist tadellos und sitzt wie angegossen. Selbstverständlich wird sein Rang durch entsprechende goldene Rangabzeichen ausgedrückt. Seine Schirmmütze sitzt akkurat.
Wie nicht anderes zu erwarten, trägt auch er weiße Stoffhandschuhe. Auch hier das gleiche Prozedere vor der Abfahrt. Er beobachtet den Aus- und Einstieg der Passagiere. Er wartet, bis der Stationsvorsteher die rote Fahne hebt. Dann setzt sich der Triebwagen in Bewegung. Und von nun an arbeitet er durch die entsprechende Routineliste Punkt für Punkt, sichtbar durch seine Hand- und Armbewegungen gewissenhaft ab. Es sieht beinahe so aus, als ob er ein Orchester dirigiert.
Erreicht unser Zug einen Bahnhof, dann verlässt der Lokführer nach dem Halt natürlich seinen Fahrerstand und nimmt den Platz des Fahrkartenkontrolleurs ein. Hier werden die Fahrscheine beim Ausstieg kontrolliert.
Das dauert auch nur eine, maximal zwei Minuten. Dann geht die Fahrt weiter.
Selbst auf diesen kleinen Regionalbahnen werden die Haltepunkte der Bahn optisch und akustisch im Zug angekündigt. Dies geschieht üblicherweise auf Japanisch. Näherte sich unser Zug jedoch einem Bahnhof von touristischem Interesse oder einer Station mit Umsteigemöglichkeit in einen Regionalexpress oder gar Shinkansen, dann wird diese Station auch auf Englisch angekündigt.
Die Passagiere in meinem Abteil sind ein recht gemischtes Publikum. Den größten Anteil jedoch stellen Schülerinnen und Schüler, die von ihrer Schule offensichtlich wieder nach Hause fahren. Sie tragen ihre schmucken Schuluniformen. Auf den Jacketts erkennt man die Schule an den oftmals sehr fantasievoll gestalteten Emblemen. Die Schülerinnen und Schüler verhalten sich, wie nicht anderes zu erwarten, ruhig und gesittet. Ab und zu tuscheln ein paar Freundinnen miteinander. Die Übrigen sind mit ihren Smartphones beschäftigt.
Nach einer knappen Stunde wird unsere Ausstiegshaltestelle angekündigt. Wir machen uns fertig, um den Waggon zügig verlassen zu können. Der Zugführer verabschiedet sich mit einer leichten Verbeugung von uns.
Im Bahnhofsgebäude stecke ich nun noch meinen „Magic“-JR-Railpass in den Schlitz der Durchgangssperre und schon bin ich in Arita.
Meine Frau begleitet mich auf dieser Reise und möchte sich in einer der bedeutendsten Keramikstädte Japans einen Überblick über die dortige Töpferkultur verschaffen. Also besuchen wir die örtliche Touristeninformation gleich gegenüber dem Bahnhofausgang. Dort werden wir sehr freundlich begrüßt und mit vielen wichtigen Details und Informationsmaterial versorgt. So gut gerüstet starten wir unsere fußläufige Erkundung von Arita. Auf einer speziellen Straßenkarte, in die die Keramikgeschäfte und Brennöfen eingetragen sind, hatte uns die junge Frau in der Touristeninformation vorsorglich schon bestimmte Geschäfte markiert, die wir uns unbedingt ansehen sollten. Gleichzeitig informierte sie uns, dass auf der Wegstrecke viele kleine Keramikläden geschlossen seien.
Auf halben Weg kommen wir an eine Kreuzung an der 5 Straßen aufeinandertreffen. Prompt entscheiden wir uns für die falsche Straße; merken aber unseren Irrtum recht bald. Wir fragen einen jungen Mann, der gerade sein Pizza-Minitransporter besteigen will. Da wir mit Englisch nicht viel erreiche, zückt er sofort sein Handy und hat auch schon die Übersetzer-App parat. Wir sprechen auf Deutsch und er hört es in seiner Muttersprache. Super! Er zeigt uns noch den richtigen Weg und wünscht uns einen schönen Tag. Der nun richtige Weg führt uns an einem kleinen Flusslauf entlang durch beinahe dörfliches Idyll.
Ja, es stimmt. Viele kleine Geschäfte haben geschlossen. In den auf unserer Karte markierten Geschäfte sehen wir nun eine üppige Auswahl der typischen Keramik. Wir können uns gar nicht sattsehen. Welch tolle Formen und Farben! Prachtvolle Keramikteller und Schalen bis ca. 60 cm Durchmesser, wunderschöne Teeschalen, für die mein Herz schlägt, und fantastische Ikebana-Gefäße, für die sich meine Frau mehr interessiert, bringen uns ins Staunen. Oh ja, das möchte ich haben, und das, und das! Jäh kommen wir in die Wirklichkeit zurück, als wir die Preise erfahren.
Ich müsste mich entscheiden zwischen einem Kleinwagen und einer Teeschale. Tatsächlich ist die Keramik aus Meisterhand in Arita sehr, sehr teuer, aber wunderschön!
Schließlich erstehen wir dann doch noch ein paar kleiner figürliche Keramiken und Ikebana-Gefäße. So kommen wir auch ins Gespräch mit den Meistern der Keramiken. Ja, die Corona-Pandemie hat auch ihnen sehr zugesetzt. Jetzt erklären sich auch die vielen geschlossenen kleinen Geschäfte. Jährlich im Monat Mai findet in Arita ein großer Keramikmarkt statt, zu dem dann täglich mehrere Tausend Menschen aus dem ganzen Land und dem Ausland kommen, um dort Keramik zu kaufen. Drei Jahre konnte dieser Markt nicht stattfinden. In diesem Mai wird der berühmte Keramikmarkt wieder öffnen. Wir wünschen gute Umsätze. Dieser Ort und seine Keramikmeister und Brennöfen sind Nationales Kulturgut des Landes.
Nach fast drei Stunden sprichwörtlichen Fußmarsch durch die Keramik von Arita fühlen wir uns schon etwas erschöpft und bitten in einem Keramikgeschäft, schon am Ende des Ortes, uns ein Taxi zu rufen. Ja, natürlich, selbstverständlich! Der Besitzer erkennt unseren Zustand und bietet uns gleich noch ein Glas Wasser gegen den Durst an.
Das Wetter hat sich entgegen der regnerischen Wettervorhersage die ganz Zeit über gehalten. Doch nun, als wir wieder im Zug nach Nagasaki sitzen, schieben sich dunkle Wolken über den Himmel.