Japan im Zug – Insel Kyushu
Reisebericht 2023
Japan im Zug … (4)

Nagasaki - mehr Geschichte geht nicht!
Sagen wir mal so, Nagasaki liegt vielleicht nicht gerade auf der Hauptroute der allermeisten Touristen. Tokyo, Kyoto, Osaka oder Nara, dann schon eher. Obwohl ich als junger Seemann schon vor 45 Jahren im Liniendienst meiner Reederei mindestens zweimal jährlich nach Japan kam, machten wir jedoch nie in Nagasaki fest.
Aber schon seit vielen Jahren habe ich den Wunsch, diese Stadt einmal zu besuchen. Bisher war Kyoto unser regelmäßiger Anlaufpunkt. Dort hatten wir unsere für das Künstleraustauschprojekt „Art Rainbow & Friends“ wichtigen japanischen Partner. Dorthin reisen wir also regelmäßig, kannten die Stadt und die tausend Tempel und Shrine zu allen Jahreszeiten schon recht gut.
Doch dieses Mal wollte ich meinen bisher unerfüllten Wunsch, Nagasaki zu sehen, verwirklichen. Ich war ja im Besitz eines JR-Rail Passes, sodass ich die knapp 800 km von Kyoto bis Nagasaki sehr komfortabel in einem Shinkansen zurücklegen konnte. Über das Reisen in japanischen Zügen habe ich ja schon an andere Stelle ausführlich berichtet.
Unsere Freunde in Kyoto, hier möchte ich im besonderen Tomoko MATSUBARA hervorheben, die in ihrer bewundernswerten ruhigen und freundlichen Art uns bei der Hotelbuchung in Nagasaki behilflich war. Mein lieber Freund Prof. Jo ISHIDA empfahl uns nämlich Nagasaki als „Basislager“ für unsere Erkundungstouren auf der Insel Kyushu. Das Hotel „Candeo Hotels Nagasaki Shinchi Chinatown“ ein 4-Sterne-Hotel in der 3-12, Dozamachi, erwies sich als Glückstreffer.

Für Nagasaki stand auf meiner To-do-Liste: die künstliche Insel Dejima, das Schlüsselloch nach Japan für den Außenhandel im 17. Jahrhundert, das Nagasaki Atomic Bomb Museum, der Friedenspark und die Urakami Cathedral.
Ich liebe Landkarten, ich liebe Stadtpläne und mit der „Nagasaki Map - Welcome to Nagasaki“, die die Stadt Nagasaki den Touristen an die Hand gibt, hatte ich eine wunderbare Gelegenheit, mich schon vor dem Erreichen der Stadt mit ihr vertraut zu machen. Tolle Detailkarten mit zahlreichen nützlichen Hinweise, wie man Nagasaki erkunden sollte, halfen mir mich sofort in der mir bis dahin unbekannten Stadt heimisch zu fühlen. Das einzige Taxi, das ich in Nagasaki benutzte, war für die Fahrt vom Bahnhof zum Hotel.

Aber schon am nächsten Tag kauften wir uns einen One-Day Pass für die Streetcar, also die Straßenbahn. Rote, blaue und grüne Routen erschließen die Stadt. Mit dem One-Day Pass kann man komfortabel zwischen den Routen wechseln. Ein solcher Pass kostet 500 Yen (3,44 €!!!) und gilt für einen ganzen Tag. Ein Einzelfahrschein kostet pauschal 130 Yen (0,90 €) für Erwachsene.
Wichtig ist noch zu wissen, dass man in der mittigen Tür in die Straßenbahn einsteigt und beim Fahrer vorn wieder aussteigt. Dort wirft man die 130 Yen in eine Box oder zeigt den One-Day Pass vor.
Für unser erstes Tagesziel, Dejima, brauchten wir keine Straßenbahn. Unser Ziel war bequem zu Fuß vom Hotel aus zu erreichen. Was bedeutet Dejima. Als im 17. Jahrhundert Japan hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt war, gab es lediglich eine kleine, künstlich aufgeschüttete Insel direkt vor Nagasaki, an die zum Beispiel holländische Schiffe anlegen konnten. Ein Betreten des Festlandes war grundsätzlich verboten und wurde Tag und Nacht überwacht. Diese Insel von lediglich 15.000 Quadratmetern Größe wurde übrigens von japanischen Handelsleuten auf eigene Kosten aufgeschüttet. Auf diesen 15.000 Quadratmetern lebten die Ausländer oftmals jahrelang. Das Betreten des Festlandes war nur einmal im Jahr gestattet, um dem Shogun die Aufwartung zu machen. Dann zog über mehrere Wochen eine ansehnliche Karawane mit vielen Geschenken für den Shogun über die Tokaido (Ostmeerstraße) bis Edo, dem heutigen Tokyo.


David Mitchell hat das Leben auf Dejima in seinem wundervollen Roman „Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet“ sehr plastisch beschrieben. Nach der Lektüre stand für mich fest, Dejima muss ich einmal besuchen. Nun war es soweit. Dejima ist heute keine Insel mehr. Um Dejima herum ist die Stadt weiter gewachsen. Ein schmaler Wassergraben lässt aber deutlich die alten Umrisse erkennen. Mit viel Liebe zum Detail wurde Dejima nach der kompletten Zerstörung durch die Atombombe wieder original aufgebaut. Was für eine Geschichte! Der Held des Romans, Jacob de Zoet, hat 17 Jahre auf dieser winzigen Insel unter widrigen Umständen gelebt.
Nun hatte ich Dejima mit eigenen Augen gesehen, bin die Insel abgeschritten, habe mich in den Lager- und Wohnhäusern umgesehen. Im Geist habe ich mir die im Roman vorkommenden Ratten und den Gestank in den Häusern ergänzt.
Dann fuhren mir mit der blauen Linie nach Norden zum Atomic Bomb Museum. Ich wusste zwar, was mich dort erwartet, da ich mir das Museum in Hiroshima schon mehrmals angesehen habe. Trotzdem war ich von diesem grausamen Unglück, von dieser völlig unnötigen Katastrophe und deren unmenschlichen Folgen für Tausende Menschen wieder tief beeindruckt. Mit einem Kloß im Hals sah ich die Zeugnisse dieses schrecklichen Ereignisses, als am 09.08.1945 um 11.02 Uhr die Uhren stehen blieben.
Schulklassen haben großformatige Bilder zu ihrer Sicht auf das furchtbare nukleare Schicksal, was ihre Ur- bzw. Großeltern erleben mussten, bzw. nicht überlebten und ihren Wunsch nach dauerhaften Frieden Ausdruck gegeben.

Still, gedankenversunken und demütig machen wir Spätgeborenen uns auf den Weg zum Peace Park. Wir setzen uns im Anblick der übergroßen, mächtigen Nagasaki-Friedensstatue auf eine Bank, um unsere Gedanken auszutauschen und zu sortieren.

Ein Wort des Bildhauers
Nachdem ich diesen alptraumhaften Krieg erlebt hatte,
dieses blutrünstige Gemetzel,
diesen unerträglichen Horror,
wer könnte weitergehen, ohne für den Frieden zu beten?
Diese Statue wurde als Herold geschaffen
für den Kampf um globale Harmonie.
Stehend, zehn Meter hoch,
es vermittelt die Tiefe des Wissens und
die Schönheit der Gesundheit und Männlichkeit,
Die rechte Hand zeigt auf die Atombombe,
die linke Hand zeigt auf den Frieden,
und das Gesicht ist im feierlichem Gebet für die Opfer des Krieges.
Die Barrieren der Rasse überwinden
und die Qualitäten sowohl von Buddha als auch von Gott heraufbeschwörend,
ist es ein Symbol größter Entschlossenheit
die jemals die Geschichte von Nagasaki kannte
und der höchsten Hoffnung der ganzen Menschheit.
Seibo Kitamura
Frühjahr 1955
Nicht weit vom Friedenspark entfernt, auf einem Hügel sah man in der Ferne die beiden Türme aus rotem Backstein der katholischen Urakami-Kathedrale. ‚Wir machten uns auf den Weg dorthin. Einst war diese Kathedrale die größte Kirche Asiens. Es dauerte 30 Jahre sie zu bauen und 3 Sekunden sie nach der Atombombenexplosion zu zerstören. 1959 wurde auf den Ruinen des ursprünglichen Bauwerkes eine kleinere Ersatzkathedrale errichtet.
Die Kathedrale bot einen guten Ort zur Besinnung. Wir waren allein. Jeder von uns formulierte stumm seine innigsten Wünsche.
Mit der Straßenbahn fuhren wir danach wieder zurück in die City. Shinchi-Chinatown fing uns ein mit seinen rot-goldenen Toren und den vielen Restaurants. Hier machten wir Rast und gönnten uns ein buntes Allerlei an chinesischen Köstlichkeiten.
Was für ein Tag!
PS: Vor 8 Jahren erhielt ich einen Brief der Japanerin Hideyo Nitta, der jüngeren Schwester von Hideto Sotobayashi. Dieser, in Nagasaki geboren, hatte den Atombombenabwurf während seines Studiums in Hiroshima erlebt und überlebt. Im Andenken an ihren großen Bruder hat die Briefschreiberin die Hiroshima-Dokumentation von Masaaki Tanabe und die Erstellung einer deutschen Version unterstützt. Sie hat mir diese DVD geschenkt und bittet darum, mit dieser DVD die Erinnerungen an das Vermächtnis ihres Bruders wachzuhalten und sich so für den Weltfrieden einzusetzen.
Dieses Video ist im erweiterten Datenschutzmodus von Youtube eingebunden, der das Setzen von Youtube-Cookies solange blockiert, bis ein aktiver Klick auf die Wiedergabe erfolgt. Mit Klick auf den Wiedergabe-Button erteilen Sie Ihre Einwilligung darin, dass Youtube auf dem von Ihnen verwendeten Endgerät Cookies setzt, die auch einer Analyse des Nutzungsverhaltens zu Marktforschungs- und Marketing-Zwecken dienen können. Näheres zur Cookie-Verwendung durch Youtube finden Sie in der Cookie-Policy von Google unter https://policies.google.com/technologies/types?hl=de.
